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Schlussanträge EuGH C-219/15: Potenzielle Haftung des TÜV für fehlerhafte PIP-Brustimplantate

Mit Datum vom 15. September 2016 hat die Generalanwältin Sharpton in dem Vorlageverfahren C-219/15 betreffend einer Haftung des TÜV als Benannte Stelle für die PIP-Brustimplantate ihre Schlussanträge gestellt.

Die Generalanwältin bejaht grundsätzlich eine drittschützende Wirkung der Medizinprodukte-Richtlinie 93/42/EWG. Benannte Stellen können nach Ansicht von Generalanwältin Sharpton unmittelbar gegenüber Patienten haftbar sein, wenn sie ihre Pflichten nach der Medizinprodukte-Richtlinie schuldhaft verletzten. Erforderlich sei aber, dass die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität gewahrt seien, worüber die nationalen Gerichte zu entscheiden hätten.

Nach dem Grundsatz der Äquivalenz muss eine nationale Verfahrensvorschrift in gleicher Weise gelten, wenn ein Verstoß gegen Unionsrecht geltend gemacht wird, wie wenn ein Verstoß gegen innerstaatliches Recht geltend gemacht wird, sofern die Rechtsbehelfe einen ähnlichen Gegenstand und Rechtsgrund haben. Nach dem Grundsatz der Effektivität darf eine nationale Verfahrensvorschrift die Anwendung des Unionsrechts nicht unmöglich machen oder übermäßig erschweren.

Anhang II der Medizunprodukte-Reichtlinie sei dahin auszulegen, dass die mit dem Audit des Qualitätssicherungssystems, der Prüfung der Produktauslegung und der Überwachung beauftragte benannte Stelle bei Medizinprodukten der Klasse III zu einem Tätigwerden mit aller gebotenen Sorgfalt verpflichtet ist. Im Hinblick auf die konkreten Pflichten der benannte Stelle, dürfe regelmäßig davon ausgegangen werden, dass ein Hersteller im Einklang mit seinem genehmigten Qualitätssicherungssystem tätig sei, und eine benannte Stelle dürfe ebenfalls von dieser Annahme ausgehen. Die benannte Stelle unterliege daher keiner allgemeinen Verpflichtung, Produkte zu prüfen, Geschäftsunterlagen des Herstellers zu sichten oder unangemeldete Inspektionen durchzuführen. Insbesondere der letztgenannte Punkte war Gegenstand der juristischen Diskussion, in der einige Autoren eine Pflicht zur Durchführung unangemeldeter Inspektionen befürworteten.

Hat die benannte Stelle Kenntnis davon, dass ein Medizinprodukt fehlerhaft sein könnte, müsse sie aufgrund dieser Pflicht die ihr nach diesem Anhang zur Verfügung stehenden Befugnisse ausüben, um festzustellen, ob ihre Zertifizierung des betreffenden Produkts aufrechterhalten werden kann. Welcher Art diese Pflicht aber genau ist und welchen Umfang sie genau hat, ist vom nationalen Gericht im Einzelfall festzustellen.

Bemerkenswert sind die Ausführungen der Generalanwältin im Hinblick auf eine zeitliche Begrenzung eines noch zu erlassenden Urteils des EuGH. So sei die  Richtlinie 93/42ist nicht dahin auszulegen, dass sie eine Haftung der benannten Stelle gegenüber einem Patienten oder Anwender eines Medizinprodukts vorsieht, soweit diese Haftung vor dem Tag der Verkündung des nun zu erlassenden Urteils eingetreten ist, sofern nicht für diese Haftung bereits ein Versicherungsschutz der betreffenden benannten Stelle besteht. Damit soll eine Haftung der benannten Stellen grundsätzlich erst in die Zukunft gerichtet in Betracht kommen.

 

Bewertung

Sollte der EuGH das Verfahren im Sinne einer grundsätzlichen Haftung der benannten Stellen gegenüber Dritten bejahen, hätte dies zunächst eine erhebliche Ausweitung der Haftung dem Grund nach zur Folge (offenbar aber zunächst nur auf die Zukunft gerichtet). Denn die benannten Stellen sähen sich potenziell auch unmittelbaren Ansprüchen geschädigter Patienten ausgesetzt. Insbesondere bei Serienschäden stünde einem geschädigten Patienten gegebenenfalls ein weiteres Haftungssubjekt neben dem Hersteller zur Seite. Dieser Umstand wird maßgeblich auch die vertraglichen Regelungen zwischen Hersteller und benannter Stelle in Bezug auf die Durchführung des Konformitätsbewertungsverfahren betreffen, da eine angemessene Haftungsverteilung im Innenverhältnis geschaffen werden müsste. Das tatsächliche Pflichtenkorsett im Rahmen einer direkten Haftung der benannten Stelle hängt jedoch von einer Bewertung des Einzelfalles ab.

Auch wenn sich das EuGH-Verfahren  zunächst auf Medizinprodukte der Klasse III bezieht, dürfte eine Entscheidung des EuGH zur Rolle der benannten Stelle jedoch auch andere Produkte der Klassen IIa, IIb und bestimmte Produkte der Klasse I betreffen.

Die Generalanwältin hat in ihren Schlussanträgen den Weg geebnet, dass die benannten Stellen künftig noch strengere Auditierungs- und Kontrollmaßnahmen bei Herstellern von Medizinprodukten anlegen, um sich nicht dem Vorwurf einer Pflichtverletzung auszusetzen. Dies folgt freilich bereits aus der Empfehlung der Europäischen Kommission vom 24.9.2013 (2013/473/EU), dürfte jedoch durch eine Entscheidung des EuGH in der Sache noch einmal mehr bestärkt werden. Die zusätzlichen Kontroll- und Prüfmaßnahmen werden sich die benannten Stellen jedenfalls bezahlen lassen, was in der Folge zu hören Kosten bei der Beauftragung von benannten Stellen durch Hersteller von Medizinprodukten führen dürfte.

Für weitere Informationen zu unserem Beratungsangebot siehe Produktsicherheit.

Ihr Ansprechpartner Dr. Marc Oeben

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